Palmsonntag 2021

B-L-O-K aktuell

Jesus auf dem Weg des Leidens oder auf dem Weg der Gewaltfreiheit?

Die liturgischen Texte zum Palmsonntag 2021 sind interessant. Man könnte sagen, sie balancieren am Rand des Verstehens. Es ist Markusjahr: Jesus zieht ein in Jeru­salem wie ein König und Markus lässt die Menschen entsprechend jubeln: „Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe! (Mk 11,10). Davidsreicherwartung, nicht Gottesreichserwartung. Doch Jesus zieht ein auf dem falschen Tier sitzend, nämlich dem kriegsuntauglichen Esel:

das heißt auf dem Tier der einfachen Leute vom Land; ja, auf einem Esel, der ihm nicht einmal gehört, sondern den er für diese Gelegenheit ausleihen musste. Erst nach dem Osterfest bemerkten sie, dass beim Propheten Sacharja zu lesen ist: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin“ (Joh 12,15; vgl. Sach 9,9). Um die Hand­lungsweise Jesu zu verstehen, müssen wir den ganzen Text aus dem Buch Sacharja hören, der so fortfährt: „Ich vernichte die Streitwagen aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Euphrat bis an die Enden der Erde“ (Sach 9,10).(Benedikt XVI.)

Jesus stellt die Machtfrage, symbolisch durch den Einzug und durch die Tempel­aktion, die gleich anschließend erfolgt (so übereinstimmend die ersten drei Evan­gelisten). Er stellt die Machtfrage auf eine besondere Weise, er stellt sie nämlich ge­waltfrei. Er handelt, wie wir es von großen gewaltfreien Kampagnen her kennen, dem Salzmarsch Gandhis, wo es um eine Aktion gegen das Monopol der englischen Kolonialmacht ging, den Selma-nach-Montgomery-Märschen der us-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (vgl. den Film „Selma“). Es geht in der Woche in Jerusalem zwischen Palmsonntag und Gründonnerstag um eine dramatische Auseinan­dersetzung, es geht um die Frage der Macht: Jesus bleibt dabei seinem gewaltfreiem Ansatz treu und er ist bereit, er wird bereit in dieser Woche, für seine Botschaft auch in den Tod zu gehen. Im Tagesgebet des Palmsonntags hieß es „Hilf uns, dass wir ihm auf dem Weg des Leidens nachfolgen“. Aber es geht nicht um einen Weg des Leidens um des Leidens willen. Es geht um einen Weg, der bereit ist, sollte es so kommen, jedes Leiden auf sich zu nehmen. So sagt es bereits die Lesung aus Jesaja am diesjährigen Palmsonntag: „Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wange denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Und Gott, der Herr, wird mir helfen“ (Jes 50, 5–7*).

Es ist eine (bittere) Erfahrung gewaltfreier Bewegungen, dass oft „Dinge von elementarer Be­deutung für die Menschen (…) durch ihr Leiden erkauft werden“ müssen. „Man muss in der Lage sein nicht nur die Vernunft anzusprechen, sondern auch das Herz,“ so der amerikanische Theoretiker der Gewaltfreiheit Michael Nagler.

Erlösend ist dabei nicht „das Leiden an sich, sondern die Bereitschaft, lieber Leiden auf sich zu nehmen als die Wahrheit zu verleugnen, der Gehorsam gegenüber einer bestimmten Lebensform, die, wenn es notwendig wird, zur Selbstaufopferung als ihrem Höhepunkt führen kann„, so der englische Neutestamentler George H. Macgre­gor.

Man kann dies alles von den Lesungen und dem Evangelium des Palmsonntags 2021 lernen.

Man kann aber auch an all diesem vorbeisehen. Leider unterstützt das „Gaben­gebet“ des Palmsonntags solch ein Vorbeisehen. Dort heißt es „versöhne uns mit dir durch das einzigartige Opfer unseres Herrn Jesus Christus.“ Die Selbstaufopferung Jesu wird zum Opfer. Hier klingt eine andere religiöse Denkwelt an, eine religiöse Welt, in der ein Gott durch ein Opfer versöhnt werden muss. Eine Welt, die uns fremd, sehr fremd geworden ist. Viel verständlicher ist für uns die Deutung des englischen Neutestamentlers George H. Macgre­gor:

„Für Jesus bedeutete das Kreuz, daß er alles aufs Spiel setzte für seine Überzeugung, daß Gottes Art das Böse zu überwinden wirksam sei. Deshalb sehen wir im Kreuz (…) den durch die ihn bedrängenden Verhältnisse unvermeidlich ge­wordenen Hö­hepunkt, der in seinem Leben folgerichtig geübten Art, dem Bösen zu begegnen (…) Je­sus wollte lieber sterben als diese Methode der Liebe verraten.“

Der Jesuit Herwig Büchele spitzt dieses Verständnis des Kreuzestodes Jesu noch einmal zu, wenn er schreibt, der „Kreuzestod Jesu ist die Wirklichkeit der Berg­pre­digt.“

Benedikt XVI., Predigt am Palmsonntag 2006.
http://www.friedenstheologie.de/main.php?chap=c&topic=texte&id=54
Macgregor, George H.J., Friede auf Erden?
Eine biblische Grundlegung der Arbeit am Frieden, München 1955
Büchele, Herwig, Gewaltfrei leben.
Die Herausforderung der Bergpredigt ─ Utopie oder Chance?, Regensburg 2010
Nagler, Michael, Gewaltfrei aus Prinzip. Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion.In: Nagler, Michael/Spiegel, Egon, Politik ohne Gewalt. Prinzipien, Praxis und Perspektiven der Gewaltfreiheit, Münster, Berlin u.a. 2008, 13-51