Übersetzungen vergleichen – Übersetzer kennenlernen

B-L-O-K aktuell

Frevel sei ein bewusster „Verstoß gegen die geltende (göttliche oder weltliche) Ordnung aus Übermut, Auflehnung oder Missachtung.“ So heißt es im Online Lexikon zur Lutherübersetzung von 1545 (www.stilkunst.de/lutherdeutsch/woerter/f/wdb-freuel.php). Nun, dass Martin Luther gegen ´Übermut, Auflehnung oder Missachtung´ insbesondere der weltlichen Ordnung mit starken Worten ein- und aufgetreten ist, ist fast schon Allgemeinwissen. Was hat das alles mit Fragen biblischer Hermeneutik und Didaktik zu tun?

In Gen 6,11 und 13a wird die Verderbnis der Erde, die Verderbnis von Gottes guter Schöpfung, mit einem hebräischen Wort präzisiert: chamas. Alle neueren Übersetzungen verdeutschen mit „Gewalt(tat)“. Es geht um keine Kleinigkeit bei dieser Übersetzung, es geht in Gen 6,11 und 13a um den Grund, warum Gott die Lust an seiner Schöpfung verloren hat. Gen 6,11 und 13a sagen: wegen chamas, wegen der menschlichen Gewalttätigkeiten! Das gibt der Sintflut erst ihr dramatisches Gepräge: Gott geht gegen Gewalt vor ─ mit Gewalt. Und scheitert. Aber Gott lernt. Dieser Weg, Gewalt mit Gewalt zu ertränken, funktioniert nicht. So die Dramatik von Gen 6-9.

Nur eine Übersetzung geht bei dieser Deutung nicht mit. Denn sie übersetzt chamas mit „Frevel“. Es ist Luther.

Wie kommt Luther zu seiner Übersetzung? Eine Übersetzung, die zudem inkonsequent ist, denn in Ez 8,17, einer direkten Parallele zu Gen 6,11 und 13, übersetzt Luther mit Gewalttat! Der Verdacht, es könnte inhaltliche Gründe haben, dass Luther in Gen 6 mit Frevel übersetzt, es könnte mit Luthers Theologie, seinem Verhältnis zu Gewalt und Obrigkeit zu tun haben, drängt sich auf. Immerhin versteht Luther Obrigkeit sehr grundsätzlich von ihrer strafenden Funktion her. Obrigkeit hat strafend einzugreifen bei Verstößen gegen die  geltende (göttliche oder weltliche) Ordnung, bei Fällen von Frevel also. „Weyl sie aber disen gehorsam brechen mutwilliglich und mit frevel und dazu sich widder yhre herren setzen, haben sie da mit verwirckt leyb und seel“, so heißt es 1525 im Traktat “ Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“.

Ganz klar also für einen Luther, dass die göttliche Obrigkeit mit der Sintflut auch gegen Frevel eingeschritten sein muss. Jede Übersetzung ist nicht nur Spiegel des originalen Textes, sondern öfter als man denkt auch Spiegel der Theologie des Übersetzers.

Übersetzungsvergleiche können so zu sehr weitreichenden theologischen Rückfragen führen und ganz unerwartete, neue Fragen aufwerfen.

Dies gilt bei Gen 6,13 nicht nur für Luther. Schaut man in die Übersetzung von Buber/Rosenzweig, wie sie heute vorliegt, liest man: „Denn die Erde ist voll durch sie der Unbill, da, ich verderbe sie samt der Erde.“ Das liest sich wie eine verbuberte Version des lutherischen Frevels. Ein Blick in die erste, noch stark von Rosenzweig mitbestimmte Auflage dieser Übersetzung aber zeigt, ursprünglich haben die beiden chamas mit Gewalt übersetzt, die Veränderung zu „Unbill“ muss auf das Konto von Martin Buber gehen. Ist Buber ein mehr als heimlicher Fan der alten Lutherübersetzung? Wieder also ganz neue, ungewohnte Fragen.