Psalm 68,3 – kein Gott von gestern

B-L-O-K aktuell

Vom Vergehen der Frevler und Gewalttäter

Der Psalm 68 beginnt mit einem Ausblick auf das Aufstehen Gottes gegen seine Feinde:

  1. Gott steht auf, seine Feinde zerstieben; die ihn hassen, fliehen vor seinem Angesicht.
  2. Wie Rauch verweht, wehst du sie weg. Wie Wachs am Feuer zerfließt, so vergehen die Frevler vor Gottes Angesicht. (EÜ)

Wie immer, so ist auch hier die Frage der Übersetzung von nicht ganz geringer Bedeutung. In der „Bibel in gerechter Sprache“[1] wird 68,3 genauer übersetzt:

            Wie Rauch verweht, wehst du sie davon,    
             wie Wachs zerschmilzt beim Anblick des Feuers,      
             so werden Gewalt­tätige zugrunde gehen beim Anblick Gottes.

Was für ein Bild und was für ein Vergleich in der zweiten Hälfte dieses Verses (und welch ein Glück, dass die Übersetzer hier konkordant übersetzt haben): Der Anblick Gottes hat für die Feinde Gottes dieselben Auswirkungen wie „der Anblick des Feuers“ für das Wachs.

Wachs bleibt bekanntlich Wachs, auch beim Anblick des Feuers, aber es verliert seine Härte, seine Form, es wird weich, fließend. So also auch der Gewalttätige, der Frevler, der Gottlose (die hebr. Vokabel rāšā‘ hat viele Bedeutungen)[2] beim Anblick Gottes. Der Gewalttäter geht also nicht physisch zugrunde, sondern er wird verwandelt, er verliert seine Form, seine Fassung, seine Härte – beim Anblick Gottes.

Wie aber ist das nun genau zu verstehen, diese Rede vom Anblick, vom Angesicht Gottes? Ist das nicht typisch mythologische Rede, heutzutage in postmodernen Zeiten nicht mehr nachvollziehbar, also typische Redeweise über einen „Gott von Gestern„?

Gott von Gestern„, so lautet der plakative Titel der xten Auflage der Gottesdebatte gerade.[3] Es ist ein trauriger Artikel. Da wird gerungen um ein Gottesverständnis jenseits der Mythologie und im Angesicht der Postmoderne, da werden zerbröckelte Glaubensbruchstücke sichtbar und da ergibt sich doch kein konsistentes neues Verstehen, auch wenn die Autorin viele, viele Namen nennt (Levinas, Rosa, Heidegger u.v.a.m.) Nur Stichworte dieser Denker werden genannt, Gott sei „weder Existenz noch Substanz“ so lautet ihre Zu­sammenfassung und es läuft auf ein wahrlich nüchternes Fazit hinaus: „Der Beitrag der christlichen Religion ist dann ein allgemeiner (…) doch dieser Beitrag hat keinen Kanzelvorsprung und keine göttliche Autorität. Er ist einer von vielen und selber plural„.

Warum dann aber noch Christ sein? Warum sich der Mühe des Glaubens noch unterziehen? Darauf gibt es keine Antwort bei Bundschuh-Schramm.

Werden Gewalt­tätige weiterhin zugrunde gehen beim Anblick Gottes? Für diese Autorin wohl unvorstellbar. Dabei beruft sie sich an einer Stelle explizit auf den Theologen John D. Caputo: „Gott, so sagt John D. Caputo, ist schöpferisch und auf Mitschöpfung angewiesen (…) wirklich wird Gott erst, wenn wir sie ergreifen„. Die gottesverlorene und gottestraurige Autorin hat diesen John D. Caputo leider nicht genau genug gelesen.[4] Caputo spricht von der machtlosen Macht Gottes, betont aber, dass diese machtlose Macht mitnichten „blutleer und unbestimmt“ sei und auch nicht „subjektiv„. Die Macht Gottes sei, so Caputo, wie „die Macht eines Traumes: Keines eitlen Traumes, sondern eines prophetischen Traumes, wie ihn Martin Luther King geträumt hat.“ Martin Luther King, sein Handeln ist für Caputo konkretes Beispiel: „Auf diese Weise wirkt Gottes konjunktivische Macht. Auf diese Weise kommt sein Reich.“ Das ist etwas ganz Anderes als ein `allgemeiner Beitrag´, und dieser Beitrag ist nicht nur ´einer von vielen und selber plural`. Gott wird konkret in einem bestimmten Handeln der Menschen, die sich an Gottes Traum orientieren, diese göttlichen Träume sieht Caputo explizit in den großen Visionen der Propheten ausgesprochen: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm…“ (Jes 11,6). „Eine Prophezeiung ist eine prophetische Vision einer Welt, in der der eine göttliche Ordnung herrscht,“ so Caputo.


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Diese göttliche Ordnung soll und kann der Mensch in sein Handeln übersetzen und damit, so würde es der Dichter des Psalm 68 wohl formulieren, den Anblick Gottes ermöglichen. Der Satz des Psalms 68, wonach „Gewalttätige zugrunde gehen beim Anblick Gottes“ lässt sich von hier aus einfach rückübersetzen in konkrete Erfahrungen, Erfahrungen, die sich auch in biblischen Erzählungen niedergeschlagen haben.

In 1 Sam 25 zum Beispiel lesen wir von einer Frau, die sich einem mafiösen Gewalttäter in den Weg stellt. Es ist David, der später so berühmte König Israels, der hier noch ein durch Erpressung lebender Outlaw ist. Dramaturgisch geschickt lässt der Erzähler diese Frau, Abigajil, genau dann auf David stoßen als dieser noch einmal seine Mordpläne durch einen Schwur bekräftigt: „Gott möge mir dies und das antun, wenn ich (…) bis zum Morgen auch nur einen Mann übrig lasse“ (1 Sam 25,22). Abigajil tritt nun diesem Gewalttäter nicht nur im wörtlichen wie übertragenen Sinn schlicht und furchtlos in den Weg, sie interpretiert nicht nur das dem David so legitim erscheinende Morden um in „Blutschuld“, sondern sie interpretiert ihr eigenes Dazwischen­tre­ten als Gottes Dazwischentreten. Sie sagt nämlich nicht, „ich habe dich gehindert“, sondern sie formuliert: „der HERR, der Gott Israels, hat dich davor bewahrt„. Und David, der Gewalttäter? Wie Wachs zerschmilzt beim Anblick des Feuers, so weich und einsichtsvoll sind seine Worte: Gepriesen sei der HERR, der Gott Israels, der dich mir heute entgegengeschickt hat (…) gepriesen seist du, weil du mich heute daran gehindert hast, Blutschuld auf mich zu laden und mir selbst zu helfen“ (25,32-33).

Das Dazwischentreten der Abigajil war Gottes Dazwischentreten, ´auf diese Weise wirkt Gottes konjunktivische Macht. Auf diese Weise kommt sein Reich` (Caputo) ─ und Gewalttätige werden verwandelt.

So gesehen und so verstanden ist Christsein auch heute noch eine lohnende (Handlungs-)Perspektive:

„Zeig uns dein Angesicht, und wir werden Heil finden. Dein liebender Blick
befreite Zachäus und Matthäus aus der Sklaverei des Geldes;
erlöste die Ehebrecherin und Maria Magdalena davon,
das Glück nur in einem Geschöpf zu suchen;
ließ Petrus nach seinem Verrat weinen
und sicherte dem reumütigen Schächer das Paradies zu.
Lass uns dein Wort an die Samariterin so hören,
als sei es an uns persönlich gerichtet:
„Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht!“
Du bist das sichtbare Antlitz des unsichtbaren Vaters (…)
Mache die Kirche in der Welt zu deinem sichtbaren Antlitz,
dem Angesicht ihres auferstandenen und verherrlichten Herrn.“[5]

Amen.


[1] https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online/?Ps/68/1/

[2] Jörn Kiefer, Art. Sünde / Sünder (AT) (erstellt: Aug. 2017) permanenter Link zum Artikel:

https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31970/

[3] Christine Bundschuh-Schramm, Der Gott von gestern, Publik-Forum 13/2020, inzwischen auch als Sonderdruck.

https://www.publik-forum.de/Religion-Kirchen/der-gott-von-gestern

[4] Vgl. jetzt Caputo, John D., Gottes konjunktivische Macht. In: Concilium 56 (3/2020) 234-241.

[5] Papst Franziskus, Gebet anlässlich des außerordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit, 08.12.2015.