Lateinisch Lesen, Singen und Hören?

B-L-O-K aktuell

Über lange Jahrhunderte hat die Bibel nur in lateinischer Übersetzung vorgelegen. Das einfache Volk war vom Lesen ausgeschlossen. Die Übersetzungen in die Volkssprachen ab dem 16. Jahrhundert waren daher ein großer Fortschritt und geistlicher Gewinn. Kann vor diesem Hintergrund heute, im 21. Jahrhundert, die lateinische Bibel, die Vulgata, noch irgendeine Bedeutung haben? Kann sie heute noch spirituelle Kraft entfalten? Wohl niemand wird auf diese Frage sofort mit „Ja, natürlich“ antworten. Bis man eines Tages im Advent in das Stundengebet eines Kloster gerät, das noch immer zu großen Teilen auf lateinisch gesungen wird (wahrscheinlich um der alten gregorianischen Melodien wegen). Da hört man dann in der Vesper zum Sonntag „Gaudete“ als Lesung aus 1. Thessalonicher die folgenden Verse: Er selbst, der Gott des Friedens, heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.  Gott, der euch beruft, ist treu; er wird es tun.“ Nein, man hört natürlich nicht diese Worte, man hört die folgenden lateinischen Worte: „Ipse Deus pacis sanctíficet vos per ómnia, et ínteger spíritus vester et ánima et corpus sine queréla in advéntu Dómini nostri Iesu Christi servétur. Fidélis est qui vocávit vos, qui étiam fáciet.

In advéntu Dómini nostri ! Natürlich weiß man mit dem großen Latinum in der Tasche, dass „Ankunft des Herrn“ im lateinischen „adventus Domini“ heißen muss. Aber im Advent einen Text auf Latein zu hören, der vom Adventus Domini spricht, ist etwas ganz anderes, als im Advent einen deutschen Text zu hören und diesen dann im Geiste rückzuübersetzen und ihn auf diese Weise dann mit der liturgischen Zeit zu korrelieren.

Man versteht vielleicht nicht alles vom alten Latein, Latinum hin oder her. Aber man wird auf eine Weise direkt angesprochen, die der deutsche Text gar nicht leisten kann:

Ant. 3 Iuste et pie vivámus, exspectántes beátam spem et advéntum Dómini.

Ein Sprachenwirrwar tut sich hier auf, dass selten bedacht wird. Wir leben zwar in einer deutschen Sprachwelt, die aber ist durchsetzt von lateinischen Wortprägungen. Diese lateinischen Fremdworte beschränken sich keineswegs nur auf kirchliche Sprache, dort aber sind sie besonders häufig. Natürlich weiß man, was „Advent“ auf deutsch bedeutet. Hier aber, in der lateinischen Tagzeitenliturgie, muss man es nicht wissen, man singt es.

Gut, dass es noch Orte gibt, wo man so singen kann.

https://www.stundenbuch-online.de/home.php?p=500

http://www.abteiburgdinklage.de/gebet/gottesdienste.htmlhttps

//www.brewiarz.katolik.pl/latin/3adw/vesperae.php3?id=II&ver=1