Schöpfung und Widerstand 2021

B-L-O-K aktuell

Wenn man als Theologe mitbekommt, dass sich im Sommer 2021 Menschen auf dem Weg machen wollen von Gorleben nach Lützerath, vom ehemaligen „Atomklo“ also bis zum aktuellen Braunkohleloch, und dabei ein Kreuz mit sich führen, knapp zwei Meter groß und nicht ganz leicht, dann wird man neugierig: Kreuzweg für die Schöpfung (https://kreuzweg-gorleben-garzweiler.de/) Und man denkt sich, schauen wir uns doch mal um bei diesem besonderen „postmodernen“ Kreuzweg.

Es gab viel zum Nachdenken auf den Wegen dieses Kreuzwegs, obwohl ich nur vier Tagesetappen mit den Pilgern geteilt habe. Es waren viel stärker als geahnt, theologische Lernwege. Überraschend war zunächst die Frömmigkeit/Spiritualität, die in dieser Gruppe immer wieder zu spüren war, ungeachtet, welche kirchlichen (Nicht-)beheimatungen vorliegen, ungeachtet auch von dem wie sie sich selbst einschätzen mögen. Als Theologe ist man berührt, wie hier christliche Spiritualität unmittelbar gelebt und erfahren wird, wie sie Kraft entfalten kann, wie die, die noch spirituelle Traditionen haben, andere mit hinein nehmen. Morgenkreis, Reisesegen, immer wieder Gottesdienste, Taize Lieder unterwegs und sehr oft Kurt Marti, „Das könnte den Herren der Welt ja so passen…!“ „So ein Kreuz gibt ja auch Kraft…“

Am modernen Tohuwabohu angekommen (Quelle:
Kreuzweg-Gorleben-Garzweiler.de)

Das Thema Schöpfung zeigte sich hier nicht als theologisch/biblisches Thema, sondern als aktuelle Betroffenheit. Vielleicht sollte man das leicht abgenutzte Wort Betroffenheit sogar besser meiden, und von Berührbarkeit sprechen. Die altbekannte Anti-AKW Bewegung und die neuere Anti-Kohlebewegung und die Klimabewegungen und Bewegten insgesamt zeigten sich auf diesen Wegen als Menschen, berührt vom Erkennen der Natur als einem uns anvertrautem Gut, als „Schöpfung“ eben. Und sie greifen auf spirituelle Formen und Traditionen aus der christlichen Frömmigkeitsgeschichte zurück, um für ihre Berührbarkeit Ausdruck zu finden.

Auch Maria war mit unterwegs (Quelle: Kreuzweg-Gorleben-Garzweiler.de

Solch spiritueller Ausdruck in teilweise klassischen Formen berührt auf solchen Widerstands- und Schöpfungspilgerwegen auch Menschen, die normalerweise Kirche und Kirchlichem sehr ferne stehen. Berührt schließlich wurden auch Menschen und Gemeinden unterwegs, Kirchengemeinden, die sich öffneten, die Gastfreundschaft gewährten und die von diesen Gästen lernten. Beziehungen entstanden, neue Freundschaften und Weggemeinschaften. Zwei der Menschen, die die Pilgergruppe im Wallfahrtsort Stromberg so freundlich empfangen hatten, waren auf den letzten Etappen wieder da zu gestoßen, der Weg war auch ihr Weg geworden; ein Pater im Nikolauskloster hielt eine so thematisch dichte und politisch konkrete Vorabendmesse, orientiert am Thema Schöpfung und Verantwortung, wie sie nur selten zu hören ist und wie dieser Pater sie wohl bislang auch noch nicht gehalten hatte. So erging es den Pilgern bei vielen Andachten und Reisesegen auf ihrem langen Weg von Gorleben nach Lützerath. Es scheint so, dass solch ein Pilgerweg für die am Weg stehenden katalytische Wirkung haben kann, oder anders formuliert, dass ein Funke überspringt, theologisch formuliert also dürfte es sich um ein Geistereignis handeln.

Auffällig war allerdings auch, dass immer wieder in Gottesdiensten oder Andachten lediglich Gen 1 oder Gen 2 gelesen und ausgelegt wurde. Das Thema Schöpfung scheint für hiesige kirchliche Amtsträger biblisch nach zwei Kapiteln erledigt. „Gibt es nicht noch andere Texte in der Bibel“, so eine Frage aus der Gruppe. „Siehe, es kommt die Zeit, spricht Gott der Herr, dass ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn, es zu hören“, so der Prophet Amos (8,11). Wer weiß, welche Pilgerwege Amos damals mitgegangen war? Welch Zufall, die neue Ausgabe von „Bibel und Kirche“ hat den Titel „Nicht mehr gut!? Schöpfung in der Krise.“ (https://www.bibelwerk.shop/produkte/nicht-mehr-gut-schoepfung-in-der-krise-1002101) Die Titel allein der ersten beiden Beiträge würden alle Pilger und Pilgerinnen neugierig machen: „Schöpfung als Vision einer gerechten Welt. Die Relecture biblischer Schöpfungstexte als Befreiungstheologie“ (Andreas Benk) und „»… damit du gerettet wirst!« (Jeremia 4,14) Ein anderer Blick auf biblische Schöpfungstheologie“ (Georg Steins). Welch Kairos, so muss man es theologisch formulieren, das, was in moderner Exegese neu in der Bibel entdeckt wird, entdecken zur gleichen Zeit Menschen in Auseinandersetzung mit unserer aktuellen Wirklichkeit in Gesellschaft wie Natur: „Biblische Schöp­fungs­texte stellen die Machtfrage. In ihnen geht es nicht um die Entstehung der Natur, sondern um gewaltsame, krisenhaft erfahrene Bedrohungssituationen.“ (Georg Steins) Heutige Schöpfungserfahrung kann genau dahin führen: die Machtfrage zu stellen. Und so neu offen zu werden auch für biblische Texte. Und daraus Kraft zu schöpfen, in krisenhaft erfahrenen akuten Bedrohunssituationen.