Drei Frauen am Grab

Bild

Ostern – oder von der Verzwergung militärischer Macht.

Bildtitel beruhen häufig, wie Überschriften von Geschichten, auf oberflächlichen in­halt­lichen Ersteindrücken. „Drei Frauen am Grab“, unter diesem Titel findet sich ein Oster­bild aus dem mittelalterlichen Albani-Psalter[1]. Doch das Bild erzählt viel mehr als lediglich die Tatsache, dass drei Frauen an einem Grab stehen.

„Fürchtet euch nicht!“, diese zentrale Botschaft in vielen Auferweckungserzählungen (vgl. Mk 16,6; Mt 28,5.10; vgl. auch Lk 24,5) wird zunächst wunderbar ins Bild gebracht. Drei Frauen (vgl. Mk 16,1) drängen sich auf der linken Bildseite in und aneinander, sie weichen so weit zurück von der Gestalt im Zentrum, wie es der Bildrahmen gerade noch gestattet (eine Fußspitze ragt schon über den Rand hinaus in unseren, den Raum des Bildbetrachters, hinein); jeweils eine Hand, wie zur Ab­wehr gegenüber der Gestalt in der Mitte erhoben. Dort in der Mitte, auf dem offenen Grab, wie auf einer Gartenbank, sitzt ein Engel, nein, er sitzt nicht genau in der Mitte, er ist nach rechts gerückt, freundlicherweise den Abstand zu den erschreckten Frau­en von sich aus vergrößernd. Er sieht die Frauen so direkt an, wie sie ihn an­sehen, lächelt er etwa? Was der Maler ins Bild gefasst hat, ist der Ostermorgen nach den Synop­tikern, drei Frauen, der Engel ein freundlicher junger Mann, so wie es Markus erzählt (ganz anders dagegen Matthäus: „Sein Aussehen war wie ein Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee“ [28,3]). Aber vor dem Engel, ihm zu Füssen lie­gen noch vier Figuren, winzig und fast aus dem Bild gefallen, es sind die Figuren von Mt 28,4: „Aus Furcht vor ihm erbebten die Wächter und waren wie tot.“ Cus­todes nennt sie die Vulgata, und später in Mt 28,12 heißt es milites. Der Maler hat sie gleich als Soldaten ver­standen und gemalt. Vier sind es, ausgerüstet mit spitzen Schwertern, Schilden, Helmen, auch ein Kettenhemd ist zu erkennen. Die liebevolle detailtreue Darstellung verrät viel Erfahrung mit militärischer Gewalt.

Kinder, die dieses Bild sehen, werden fragen, was machen denn die Zwerge da unten. Kinder haben einen scharfen Blick und vielleicht stehen sie den Illustratoren des 12. Jahrhunderts in so manchem viel näher, als wir ahnen. Dieser Bildkünstler hat die vier Soldaten in der Tat zu Zwergen schrumpfen lassen, sie liegen nebeneinander in der rechten unteren Ecke des Bildes, derangiert, durcheinander, ein Bein ragt über den vorderen dekorierten Bildrand hinaus, quasi in den Raum des Betrachters hinein, Die Schwerter der Soldaten weisen spitz nach oben, wie zu einer letzten vergeblichen ängstlichen Abwehr, aber sie wirken nicht bedrohlich, klein wie Spielzeug sind sie geworden!

Einer der Soldaten hat die Augen weit aufgerissen und schaut nach oben, dem Engel genau auf seinen nackten übergroßen Fuß. Was für ein Gegensatz ist hier zu­sam­men­komponiert: bloße, wehrlose Füße und vor/unter ihnen vier zusammengesunkene Sol­daten. „Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe“, so lautete die Anweisung Jesu in Mt 10,10. „Jeder Stiefel, der dröhnend da­her­stampft (…) wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers“, so hieß es in Jes 9,4. Denn uns ist ein Sohn geboren, so die Begründung in Jes 9. Hier nun, am Ostermorgen ist der Weg dieses Sohnes göttlich bestätigt. Es war ein Weg der Gewaltfreiheit, ein Weg der bloßen Füsse. Noch ist die Gewalt­tätigkeit dieser Welt nicht verschwunden, aber sie ist zusammengesunken, zu Boden gestürzt, an den Rand gedrängt und sehr, sehr klein geworden. Groß ge­wor­den, groß wie Engel sind an diesem Ostermorgen aber die Frauen. Welcher Mönch hat im 12. Jahrhundert bloß solche Bilder geträumt und gemalt?

Ein anderer Mönch, aus dem 20. Jahrhundert, hat einmal gefragt, ob es „das Unver­mö­gen, den Tod zu verstehen, ihm zu begegnen“ sei, „das zu so vielen Kriegen und zur Gewalttätigkeit führt“? Denn es sähe so aus, „daß der Mensch an seinem in­di­vi­du­ellen physischen Leben hängend, glaubt, sich gegen den Tod schützen zu können, indem er ihn anderen zufügt.“[2] Wenn diese These stimmt, dann allerdings muss die Macht der Waffen die­ser Welt zerfallen, wenn der Tod seinen Schrecken verloren hat, dann wird die Feier der Aufer­stehung zur Ermöglichung eines Weges ohne Gewalt:  „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15,55).

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albani-Psalter_Frauen_am_Grab.JPG

Überinterpretiert man hier ein Bild? Die Antwort auf diese Frage hängt viel mit dem zusammen, was man den Bilderkünstlern des Mittelalters theologisch zutraut. Wie sehr man ihnen theologisch einiges zutrauen muss, zeigt eine überraschende, verblüffende Unter­bre­chung in der Reihe der Osterbilder des Psalters. Auf unser Bild folgt die Verkün­digung der Nachricht vom leeren Grab an die Jünger durch eine der Frauen, eine Dar­stellung der Szene vom ungläubigen Thomas, der seine Finger in die Seiten­wunde legt und dann aus der Legende des hl. Martin die Szene von der Man­tel­teilung und der Christusvision des Martin. Erst danach findet die österliche Bil­der­folge mit der Himmelfahrt ihre Fortsetzung. So wie Thomas den Leib Christi berüh­ren konnte, so hat Martin, ohne es zu wissen, Christi Leib mit der Mantelhälfte be­deckt; Christus im Fleisch der Armen gefunden. Bekanntlich ist die unmittelbare Folge dieser Entdeckung für Martin die Verweigerung des Kriegsdienstes gewesen: „Ich bin ein Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen.“[3]

Wer so mit Bildern und Geschichten zu komponieren versteht[4], der ist in der Lage, auch in ein­em einzigen Bild selbst auf narrative Weise Theologie zu treiben und von der österlichen Ver­zwer­gung menschlich militärischer Macht zu erzählen, als Mutmachbild für eine ge­walt­freie Nachfolgepraxis. 


[1] Vgl. zu diesem Psalter nur die Analyse über Entstehung und Funktion bei Gallistl, Bernhard, Der St Albans Psalter und seine liturgische Verwendung. In: Concilium Medii Aevi 15 (2012) 213-254. Online ist der Psalter unter https://www.abdn.ac.uk/stalbanspsalter/german/index.shtml zu finden.

[2] Merton, Thomas: Vorwort zur vietnamesischen Übersetzung von »Keiner ist eine Insel«. In: Ders., Gewaltlosigkeit. Eine Alternative. Zürich, Köln 1986, 90-93. 90 (= digital zugänglich in der Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie 2004, vgl. www.friedenstheologie.de).

[3] Sulpicius Severus, Vita sancti Martini. Leben des heiligen Bekennerbischofs Martinus von Tours; https://bkv.unifr.ch/works/68/versions/81/divisions/45949

[4] Man vergleiche die Technik, die Bergpredigt in einer Kinderbibel mit Bildern heutiger (gewaltfreier) Nachfolge zu illustrieren: Laubi, Werner, Kinderbibel. Mit Illustrationen von Annegert Fuchshuber, Lahr 61997, 216-220.