„Wer anderen eine Grube gräbt“ – Ein biblisches Drama in sieben Szenen

Materialien zu biblischen Texten

Erste Szene

Ein Raum im Palast von König Darius, dem Meder. Abends.

K ö n i g  D a r i u s (mit einem Glas Wein in der Hand). Sind die Israeliten schon da? Ich will die Männer endlich sehen. Ihre Ausbildung ist nun nach drei Jahren abgeschlossen. Sind sie frei von jedem Fehler, klug und weise? Und schön an Gestalt? Ich kann es kaum erwarten, sie in Augenschein zu nehmen.

A s c h p e n a s. Oh, ja, König. Die Israeliten sind da. Sie stehen unten im Hof. Tretet auf den Balkon und schaut sie euch an.

König Darius begibt sich hastig zum Balkon. Die Sonne geht gerade unter.

K ö n i g  D a r i u s. Ich sehe sie! So viele aus dem Hause Juda. In Jerusalem werden viele Tränen vergossen werden. – Aber, Halt! Wer sind diese vier Männer dort? Die am Brunnen stehen. Sie scheinen mir kräftiger zu sein als die übrigen, besonders der eine neben der Palme.

A s c h p e n a s. Das, ähm, das ist Daniel mit den Seinen.

K ö n i g  D a r i u s. Daniel? Was für ein Daniel? Erzählt mir von ihm!

A s c h p e n a s. Als die Juden seinerzeit an den Hof gebracht wurden, bat Daniel für sich und seine Männer darum, nicht von den königlichen Speisen und dem königlichen Wein trinken zu müssen. Stattdessen –

K ö n i g   D a r i u s. (aufgebracht) Wein? Was ist mit unserem Wein? Er nimmt einen großen Schluck. Köstlich ist er, der Wein.

A s c h p e n a s. Stattdessen wollte Daniel, dass man ihm und den anderen drei Juden nur pflanzliche Nahrung zu essen und Wasser zu trinken gebe. Er hat mit einem der Aufseher sogar eine Wette abgeschlossen und behauptet, dass er, also Daniel, und seine Männer nach den drei Jahren besser aussehen würden als die anderen Gefangenen. Nun ja, anscheinend hat Daniel die Wette gewonnen.

K ö n i g   D a r i u s. Pflanzen? Wasser? Ein sonderbarer Jude. Ich will mehr über diesen Daniel erfahren. Habt ihr ihn schon gesprochen, Aschpenas?

A s c h p e n a s.  Ja, zwei, drei Mal. Er scheint sehr klug zu sein – genau wie ihr es wollt. Und man erzählt sich am Hofe, dass sich dieser Daniel auf Visionen und Träume aller Art versteht. Sogar einigen Bediensteten soll er schon geholfen haben.

K ö n i g   D a r i u s. (wütend) Und das erfahre ich erst jetzt? Bringt mir diesen Mann sofort her! Ich will ihn kennen lernen. Diesen … Daniel.

Aschpenas geht ab. König Darius gießt sich noch ein Glas Wein ein und beobachtet von Balkon aus, wie Aschpenas zu Daniel geht und ihn in den Palast mitnimmt.

A s c h p e n a s. (klopft an und tritt wieder herein). König Darius, hier ist der Mann, den ihr sprechen wollt.

Daniel betritt den Raum des Königs.

K ö n i g   D a r i u s. Ah, der vegetarische Jude! Ihr könnt sicher nicht mal einem Löwen etwas zu Leide tun. Und Visionen soll er auch haben. Ich, König Darius, frage dich also: Kannst Du in die Zukunft sehen und mir sagen, was mit dem Reich der Meder geschehen wird.

D a n i e l.  Das kann ich, König Darius. Der Gott meines Volkes gibt mir die Fähigkeit dazu.

K ö n ig   D a r i u s. Von deinem Gott will ich nichts wissen. Dich will ich prüfen. Was siehst Du?

D a n i e l.   Nach euch werden noch drei Könige kommen, der vierte aber wird größeren Reichtum erwerben als alle anderen vor ihm. Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt. Doch dein Volk wird in jener Zeit gerettet. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt, und …

K ö n i g   D a r i u s.   Genug, genug. Das mit dem Himmel kannst Du dir sparen. Aber das davor ist interessant. Noch drei Könige, Reichtum, Not, Rettung – ich glaube dir. (zu Aschpenas gewandt) Dieser Jude hier ist ab sofort mein persönlicher Berater. (zu Daniel gewandt) Trinkst Du mit mir darauf ein Glas Wein? Ich habe dich aus der Gefangenschaft gerettet, Du bist jetzt am Hofe.

Daniel (lächelt weise). Du hast mich nicht gerettet. Und behalte deine Gaben oder schenk sie einem anderen. Aber die Schrift will ich für den König lesen und deuten.

 

2. Szene

Am nächsten Morgen. Im Lager der Juden, innerhalb der Palastmauern.

M i s c h a e l.   Daniel, da bist du ja wieder! Wo hast Du übernachtet? Wir haben uns Sorgen gemacht.

D a n i e l.   Ich habe im Palast geschlafen. König Darius hat mich gestern zu seinem Berater ernannt und mir ein Zimmer im Palast gegeben. Ich muss dort übernachten. Aber ich will euch berichten, was gestern geschehen ist.

Daniel informiert Mischael.

M i s c h a e l. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht für uns ist. Diese Nähe zum König … Lass uns lieber von Babel fliehen. Jetzt, da die drei Jahre herum sind, achten sie vielleicht nicht mehr so sehr auf uns. Oder wir kämpfen!

D a n i e l.  Mischael, ich weiß deine Leidenschaft sehr zu schätzen, aber eine Flucht durch die Wüste, zu viert, mit den Medern auf unserer Spur – das würden wir kaum überleben. Und zum Kampf sind wie zu wenige.

M i s c h a e l.   Wo ist dein Glaube, Daniel? Der Herr wird uns helfen.

D a n i e l.   Mein Glaube ist groß, Mischael. Und der Herr wird bei uns sein. Aber ich spüre, dass meine Zeit hier noch nicht zu Ende ist. Der Herr hat etwas anderes mit mir vor.

M i s c h a e l (schüttelt den Kopf). Deine Visionen … Dieser uralte Mythos von den Propheten. Es ist schwer, dir zu folgen.

D a n i e l  Habe Vertrauen, Mischael. Der Herr ist unser Hirte. Und jetzt lass uns beten.

Sie beten.

Gepriesen und gelobt bist du, Herr, Gott unserer Väter // Herrlich ist dein Name in alle Ewigkeit // Denn du bist gerecht in allem, was Du getan hast // Alle deine Taten sind richtig, deine Wege gerade // Wir folgen dir von ganzem Herzen // Fürchten dich und suchen dein Angesicht // Überlass uns nicht der Schande // Sondern handle an uns nach deiner Milde // Nach deinem überreichen Erbarmen!

 

3. Szene

Einige Tage später.

A z m o d i   He, Aschpenas, habt ihr einen Moment Zeit? Lasst uns beiseite reden.

A s c h p e n a s  Für euch habe ich immer Zeit, Azmodi. Was wollt ihr?

A z m o d i   Der Berater des Königs, Daniel, wird zu mächtig. Das gefällt mir und den anderen Satrapen überhaupt nicht. Wir müssen etwas tun, damit der Jude beim König in Ungnade fällt.

A s c h p e n a s  (lacht) Macht ihr Witze? Der König vertraut Daniel. Ständig fragt der König ihn um Rat. Daniel, deute meinen Traum! Daniel, sag mir, was mit Babel geschieht? Daniel, mir ist im Traum die Botschaft „Mene mene tekel u-parsin“ erschienen, was bedeutet das? Daniel, Daniel, Daniel. Der König ist doch schon ein Jude.

A z m o d i   Das reicht! Der König gefährdet unser Reich, unsere schöne Stadt Babel. Jetzt oder nie, Aschpenas! Wir müssen handeln – ich habe auch schon eine Idee.

Die beiden Männer hören ein Rascheln in ihrer Nähe

A z m o d i   Was war das? Belauscht uns jemand?

A s c h p e n a s  Nein, das war nur der Vorhang, der sich vom warmen Wüstenwind bewegt hat. Erzählt weiter. Erzählt mir von eurem Plan. Doch ich befürchte, wir werden keinen Grund finden, um Daniel anzuklagen. Er ist zuverlässig und hat sich kein Vergehen zu schulden kommen lassen.

A z m o d i   (lächelt sinister) Wir werden einen Grund erfinden! Dieser Daniel ist doch Jude und betet zu seinem Gott. Seine Religion soll ihm zum Verhängnis werden. Lasst uns zu Darius gehen und ihn dazu bringen, ein Dekret zu erlassen, das folgendes Verbot enthält: Jeder, der innerhalb von 30 Tagen an irgendeinen Gott oder Menschen außer an König Darius eine Bitte richtet, der soll in die Löwengrube geworfen werden. – Wenn König Darius dieses Dekret unterzeichnet, dann ist es, nach dem Gesetz der Meder und Perser, unabänderlich. Anschließend werden wir es überall im Reich bekannt geben.

A s c h p e n a s   Die Löwengrube … Ein teuflisch guter Plan! König Darius wird niemals auf den Gedanken kommen, dass es eine Falle ist. Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten. Aber …

A z m o d i   Was? Habt ihr Zweifel?

A s c h p e n a s   Ihr kennt diesen Daniel nicht. Er ist ein kluger und starker Mann. Wir sollten ihn nicht unterschätzen.

A z m o d i   Er ist ein Jude! Ein Jude!! Und er wird bei den Löwen landen!!!

 

4. Szene

Im Palast des Königs. Ein Seitengang.

S a r a  (flüsternd) Daniel.

D a n i e l  Hallo? Wer ist da? Wo seid ihr?

S a r a   (immer noch leise sprechend) Hier, im Schatten des Pfeilers.

Daniel tritt in den Schatten und sieht eine wunderschöne Mederin.

D a n i e l   Wer seid ihr?

S a r a  Ich heiße Sara, ich bin die Tochter von Susanna und Nebuk. Ich bin eine Dienerin von König Darius.

D a n i e l   Ich habe euch hier noch nie gesehen.

S a r a   Ich bin meistens in der Küche und bereite die Speisen des Königs zu. Ich habe gehört, dass ihr kein Fleisch esst. (sie lächelt zärtlich)

D a n i e l   Das stimmt. Ich ehre damit hier in der Fremde meinen Gott.

S a r a   (schaut wieder ernst). Deswegen muss ich euch sprechen. Und wir müssen uns beeilen, damit man uns hier nicht zusammen sieht.

D a n i e l   So sprich!

S a r a   Gestern habe ich in einem der Räume des Königs sauber gemacht, als Aschpenas und der Satrape namens Azmodi das Gemach betraten. Ich kenne diesen Azmodi und fürchte mich vor ihm, also habe ich mich hinter einem Vorhang am Fenster versteckt. Dadurch konnte ich hören, was die beiden miteinander beredet haben. Sie haben über euch gesprochen, Daniel.

D a n i e l   Über mich? Was haben Sie gesagt?

S a r a   Sie wollen dich umbringen!

D a n i e l   Bist Du da sicher, Sara?

S a r a   Ja, die beiden wollen König Darius dazu bringen, dass er ein Gesetz unterschreibt, dass niemand sich an jemand anderen mit einer Bitte wenden darf, als an König Darius. Und wenn Du, Daniel, dann zu deinem Gott betest, werden sie dich festnehmen und töten.

D a n i e l   (mit ganz ruhiger Stimme) Liebe, schöne Sara. Vielen Dank für diese Nachricht, aber das wird mich nicht einen Tag daran hindern, zu meinem Gott zu beten oder Gott um etwas zu bitten. Wir Juden haben schon vieles erleiden müssen – doch am Ende hat Gott uns immer errettet.

S a r a   Ihr wollt euch nicht schützen?

D a n i e l   Nein, ich werde heute wie jeden Abend mein Fenster öffnen und in Richtung Jerusalem beten.

S a r a   Das verstehe ich nicht. Was ist das für ein Gott, den ihr da verehrt? Ich kenne nur unseren Bel.

D a n i e l   Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, reich an Huld und Treue. Er nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg … Lässt aber den Sünder nicht ungestraft.

Sara neigt für eine Moment ihren Kopf.

S a r a   Ich höre euch gerne zu, wenn ihr von eurem Gott spricht. Aber kann er euch auch vor Azmodi beschützen?

D a n i e l   Das werden wir sehen. Und jetzt geht wieder an eure Arbeit, Sara. Mach dir keine Sorgen um mich.

S a r a   Passt auf euch auf.

D a n i e l   Shalom.

Daniel geht zu ihr und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.

 

5. Szene

Das Schlafzimmer von König Darius. Tiefe Nacht.

K ö n i g D a r i u s   Was habe ich nur getan! Ich habe Daniel in die Löwengrube werfen lassen. Meinen treuen Berater! Warum habe ich nur dieses Gesetz unterzeichnet! Verflucht sind Aschpenas und Azmodi, diese Intriganten. Sie haben mich hintergangen. Dafür muss Daniel nun leiden und wird von den Löwen zerfleischt. Kein Gott kann ihn aus dieser Grube retten. Das raubt mir den Schlaf. Warum sollen die Juden nicht zu ihrem Gott beten dürfen? Ich, König Darius, habe dadurch nicht den geringsten Nachteil. Vielleicht haben die Juden Recht und ihr Gott ist anbetungswürdig. Ach, ich erinnere mich noch gut an den Tag, als Daniel mir bewiesen hat, dass unser Bel gar kein Gott ist und die Priester und ihre Familien die Opferspeisen essen.

König Darius geht zu einem Weinkrug.

Und auf Wein habe ich heute Nacht auch keine Lust, und meine Tänzerinnen und Musiker will ich auch nicht hören und sehen. Ich will fasten. Ich will in der Stunde des Todes von Daniel nüchtern sein. Ob er schon zerfleischt worden ist von meinen Löwen. Meine Löwen … Nur aus Tradition halte ich sie, weil die Könige vor mir sich daraus ein Vergnügen gemacht haben, auf Löwenjagd zu gehen. Ich hasse die Löwenjagd. Oh, was bin ich für ein König! Hat Daniel nicht oft gesagt: „Der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben.“ – War ich gerecht? Bin ich treu?

 

6. Szene

Zur selben Zeit in der Löwengrube. Daniel kniet betend in einer Ecke. Die Löwen schlafen. Ein Engel erscheint.

E n g e l  Fürchte dich nicht! Der Herr schickt mich.

D a n i e l   (trotzdem erschrocken) Wer bist Du?

E n g e l  (milde) Ein Engel des Herrn.

D a n i e l   Des Herrn? Ich habe es immer gewusst.

E n g e l   Ja, dein Glaube hat dich gerettet. Als Gefahr für dein Leben drohte, hast Du dich nicht von Gott abgewandt. Du warst treu.

D a n i e l   Ich danke dem Herrn.

Daniel schaut zu den schlafenden Löwen.

E n g e l    Ja, auch das hat der Herr getan. Seit Du in die Grube geworfen wurdest, schlafen die Löwen.

D a n i e l   Was wird jetzt aus mir werden?

E n g e l   Am Ende der Tage wirst Du auferstehen und dein Erbteil empfangen. Aber jetzt ist meine Mission beendet. Der Morgen naht – ich kehre zurück zum Herrn.

Der Engel verschwindet. Daniel schläft ein.

 

7. Szene

Das Schlafzimmer von König Darius. Die Löwengrube.

K ö n i g  D a r i u s   Da, hinter den Hügeln! Ich kann die ersten Sonnenstrahlen sehen. Endlich wird es Morgen! Ich muss zu Daniel.

Der König eilt zur Löwengrube. Mit ihm drei seiner Soldaten, die die verschlossene Grube öffnen.

K ö n i g  D a r i u s   (mit schmerzlicher Stimme) Daniel, du Diener des lebendigen Gottes! Hat dein Gott, dem du so unablässig dienst, dich vor den Löwen erretten können?

D a n i e l   O König, mögest du ewig leben! Mein Gott hat seinen Engel gesandt und den Rachen der Löwen verschlossen. Sie taten mir nichts zuleide, denn in seinen Augen war ich schuldlos, und auch dir gegenüber, König, bin ich ohne Schuld.

K ö n i g  D a r i u s  Das alles erfreut mich sehr, Daniel! (zu den Soldaten). Befreit ihn aus der Grube! Holt ihn herauf.

Als Daniel wieder auf sicherem Boden steht, umart ihn König Darius.

K ö n i g  D a r i u s   An dir ist nicht die geringste Verletzung! Ein Wunder. (wieder zu den Soldaten gewandt). Nehmt Azmodi und Aschpenas fest und werft sie in die Löwengrube!

Die Soldaten laufen weg.

K ö n i g   D a r i u s   Mein Daniel! Friede sei mit dir und allen anderen aus Judäa. Die an meinem Hof gefangenen Juden können zurück in ihr Land. Und ich werde gleich heute Mittag anordnen, dass im ganzen Gebiet meines Reiches ab sofort dein Gott verehrt wird, denn er ist der lebendige Gott und er lebt in Ewigkeit. Sein Reich geht niemals unter, seine Herrschaft hat kein Ende. Er rettet und befreit – er hat dich aus der Löwengrube errettet. Und jetzt, Daniel, möchte ich dich bitten: Bleib an meinem Hof! Es soll dir hier gut gehen.

D a n i e l   Danke, König Darius. Ich bleibe gerne an eurem Hof.

Aus der Ferne nähert sich eine junge Frau.

K ö n i g   D a r i u s    Wer ist das?

D a n i e l   Eine eurer Dienerinnen. Sara.

K ö n i g   D a r i u s  (lächelt). Geh zu ihr. Sie scheint auf euch zu warten.

Daniel geht zu Sara.

ENDE.