Fiktionalität ist nicht fiktiv !

Bibel verstehen

Zur Klärung eines missverständlichen Begriffs

„Fiktional“ meint eine Darstellungsweise, „fiktiv“ eine Existenzweise. Die Begriffe sind also sorgfältig zu trennen. !!! nicht zu verwechseln mit „Fiktion“ als Gegenbegriff zu „Wahrheit !!! Der Sprachgebrauch ist uneinheitlich, wird durch englische Begriffe noch komplizierter!

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Fiktionalität: grundlegender ästhetischer Begriff:= eine künstlerisch produzierte zweite Wirklichkeit, in der die Wahrheit der „gewohnten“ Wirklichkeit / 1. Wirklichkeit/Normalität zur Anschauung gebracht wird. Eine Darstellung der Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive, mit bestimmten Absichten. M. a. W.: das Kunstwerk als Imagination einer „kleinen Welt für sich“, als Entwurf einer eigenen Welt. Es ermöglicht eine Auseinandersetzung mit der Normalität (Deutung; Gegenwelten; Probehandeln). Es geht nicht um Abbildung oder Beschreibung (vgl. Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“)

Das Verhältnis von 1. und 2. Wirklichkeit kann verschiedenen gestaltet sein; daraus ergeben sich Stufen/Grade der Fiktionalität:

Stufe I:      Produktion einer 2. Wirklichkeit, die im Allgemeinen (Weltvorstellungen, Kausalitäten) mit der 1. Wirklichkeit übereinstimmt, sich aber im Detail (Personen, Handlungen) unterscheidet

Stufe II:    Bindung an die 1. Wirklichkeit erheblich gelockert, Kausalitäten außer Kraft gesetzt, gewöhnliche Abläufe verkehrt,z.B. in Märchen, Fabeln, Utopien und Science fiction (Feen, sprechende Tiere, unmögliche Naturvorgänge)

Stufe III:   ein vollständig von der Normalität abgelöster („absoluter“) künstlerischer Ausdruck (Signifikant ohne Signifikat; Experimente mit dem künstlerischen Medium selbst); Anregung für freie Interpretation

Wichtig für das Verständnis dieser Leistungen von Kunstwerken:

1. der dreistellige Zeichenbegriff / die „als-Struktur“ des Zeichens:
Das Zeichen steht nicht für Dinge, bildet nicht Dinge ab, sondern im Zeichen(träger) (1. Pol) wird ein Objekt (2. Pol) als Etwas erschlossen / gedeutet/interpretiert (3. Pol). D. h. die Deutung ist bereits Teil des Zeichens, nicht etwas Hinzukommendes.

2. der „Vertrag“: Die Rezeption wird über einen stillen „Kontrakt“ zwischen Produzierenden/Kunstwerk und Rezipierenden gesteuert; er legt die (kulturell u. geschichtlich divergierenden) Signale für den Fiktionalitätsgrad fest und nimmt die Rezipierenden als Sinn – Mit-Schöpfer in Dienst.

Prof. Dr. Georg Steins – Universität Osnabrück