Der (Bibel-)Garten als „Inszenierung des Religiösen in der Gegenwart“

Materialien zur Bibel allgemein

Religionspädagogik ist als theologische Disziplin besonders darauf angewiesen, sich nach allen Seiten hin verständlich zu machen. Die Disziplin Religions­pädagogik ist daher im Konzert der theolo­gischen Fächer in der Regel auch stolz darauf, eine gewisse zeitgeistige Pünktlichkeit aufweisen zu können; durchaus auch als Seismograph für die gesamte akademische Theologie. Man möchte die Sprache der Menschen sprechen und die Menschen dort abholen, wo sie gerade sich befinden. Man ist daher in der Regel sehr sensibel für gesellschaftliche Veränderungen und Trends. Ein Trend allerdings ist in den letzten Jahren weithin übersehen worden. Es ist der allgemeine Trend „Garten“ und die spezielle Mode „Bibelgarten“.

Eine Religionspädagogik, die einiges auf ihre zeitdiagnostische Kompetenz gibt, muss sich von landschaftsarchitektonischer Seite aus wohl mit Recht sagen lassen, dass sie das anthropologische Phänomen Garten und seine heutige Attraktivität und Anziehungskraft bislang nur unzureichend in den Blick genommen hat. Was sagt es über eine technisierte, durchbetonisierte Industriegesellschaft in der Spätmoderne, Post­moderne oder wie auch immer die Bezeichnungen lauten mögen, wenn in ihr plötzlich Phäno­mene wie Urban Gardening oder Guerilla Gardening boomen?[1] Wenn plötzlich eine ganz neue Zeitschriftengattung entsteht, „Landlust“, „Landidee“, „Landgenuss“ und „Mein Schönes Land“; wenn die Zeitschrift „Landlust“ eine grö­ßere Auflage hat als der „Spiegel“?[2]

Fragen, die auch in der Religionspädagogik zu stellen wären, finden sich in den Feuilletons der großen Zeitungen. Sie lauten beispielsweise:

„Warum nur reden jetzt alle vom grünen Glück? Was ist dran an der neuen Tomatenlust, an der grassierenden Sonnenhutfreude? Die Deutschen scheinen vom Gartenvirus befallen, sie grubbern und mulchen, jäten, häckseln, säen, als hätten sie auf dieser Welt nur einen Wunsch: die Rückkehr ins Paradies, blühend und blau­beerprall. Nichts, keine Nacktschnecke, kein Dickmaulrüssler und schon gar nicht Giersch und Vogelmiere können sie davon abbringen. Manche nennen es die größte Kulturbewegung der Gegenwart. Andere sprechen von einer Religion.“[3]

Das Gärtnern als neue Religion? Nur eine überspitzte Formulierung? Ein verbaler journalistischer Lapsus? Auffällig immerhin ist, dass auch der Publizist Jakob Augstein sich genötigt fühlt, eine dezidierte Abgrenzung von einer zentralen religiösen Vokabel vorzunehmen:

„Ja, es ist wahr, ich handele nicht von der Erlösung der Menschheit. Sondern nur von einem kleinen Garten, einem unbedeutenden Stück Land. Aber, lieber Leser, so schnell geben wir die Schaufel nicht ab. O nein, manchmal ist der Mensch eben nur Gärtner. Und der Gärtner trägt bei zur Ordnung im höheren Sinne (…) Der Mensch bedenkt seinen Platz in der Welt auch nicht viel anders als ich meinen Platz in meinen Garten.“[4]

Nicht nur das Thema Garten boomt. Es boomt auch eine besondere Form des Themen­gartens, der Bibelgarten. Bibelgärten boomen, obwohl sie landschaftsarchitektonisch in der Regel höchst mäßig komponiert sind und nicht viel mehr bieten als eine Ansammlung von Realien aus der biblischen Welt. Sie zeigen aber paradigmatisch, dass die Realität eines gestalteten Garten Menschen auch heute oder vielleicht gerade heute besonders anspricht. Was sagt es über die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen der modernen nachchristlichen und säkularisierten Gesellschaften aus, wenn zu Garten­schauen inzwischen immer auch ein Bibelgarten zu gehören scheint, wenn sich die Bi­belgartenbewegung, bzw. die Bibelgärten ausbreiten mit einer Schnellig­keit wie im klassi­schen Gemüsegarten das Unkraut?[5]

Ein „auffälliges Zeitphänomen“, so heißt es einleitend in der anscheinend ers­ten theolo­gischen Dissertation zum Thema.[6] In der Tat ist dieses Phänomen mehr als nur auffällig, denn das faszinierende ist, dass es ungeplante Ent­wicklungen sind. Es waren nicht die Vorstände aller deutschen Schreber­gärtenvereine, die aus Marketinggründen das Label Urban Gardening ent­worfen haben und es waren auch nicht die versammelten Religions­pädagogen Deutschlands, die auf diesen Gartentrend trendig die Idee Bibel­garten auftopften.[7]

Die religionspädagogische Aufgabe angesichts dieses Befundes kann nun nicht allein darin bestehen, darü­ber kluge Analysen zu verfassen; die Gründe auf­zuhellen und den gärtnernden Men­schen so dazu zu verhelfen, sich besser zu verstehen – das erledigen inzwischen bereits mit einigem philosophischen Tiefgang linke Publizisten wie bei Jakob Augstein zu besichtigen oder englische Thronfolger, wie Prince Charles.[8] Die eigentliche Aufgabe wäre es m.E. zu beo­bachten, wahrzunehmen und dann darüber nachdenken, wie diese neue Ausdrucksform, diese neue Sprache bibeldidaktisch zu nutzen wäre. Dem Volk aufs Maul zu schauen, ist ja seit Luthers Zeiten erste Aufgabe aller praktischen Theologie, also aller theologischen Bemühungen, die auch ver­standen werden wollen. Die Frage demnach lautet, was lässt sich mit der Sprache Garten ver­mitteln, wie kann man das Medium Garten zur religiösen Kom­munikation nutzen? Abseits wissenschaftlicher Theologie passiert dies längst, wie an dem Ent­stehungs­­dreischritt deutlich wird, den Stückrath für die deutschen Bibelgärten heraus­ge­ar­beitet hat:

„Am Anfang stehen die botanischen Gärten, welche dem Fachpublikum die Ergebnisse der biblischen Pflanzenkunde präsentieren, dann die Gartenschauen mit ihren für ein breites Publikum gedachten Themengärten „Biblische Pflanzen“ und schließlich Gemeinden, welche sich von den Gartenschauen anregen lassen.“[9]

Diese Gemeinden haben dann gelegentlich eigenständig, das hat Stückrath detailiert analysiert, aus dem kulturgeschichtlich-pflanzengeographischen Ansatz der botanischen Gärten und Gartenschauen einen biblisch-heilsgeschichtlichen oder einen symbolischen Garten entwickelt.[10] Stückrath bezeichnet die „Erzähl-Methode, bei der einzelne Pflanzen zu `Requisiten´ und thematische Einheiten zu ´Szenarien´ der biblischen Texte werden“ als „Königsweg für eine sinnenorientierte Bibeldidaktik.“[11]

Kann man es von Seiten der Religionspädagogik verantworten, die Gemeinden auf diesem Königsweg allein zu lassen?

Man sollte, so meine These, die Pfarrgemeinden nicht ganz alleine lassen mit dieser gartengestalterischen Aufgabe, sondern sie als bibeldidaktische Herausforderung verstehen.

In einem Seminar, angelegt als Kooperationsveranstaltung zwischen Uni­versität und Fachhochschule, also zwischen angehenden Landschafts­g­ärtnern und Landschaftsarchitekten und angehenden Theologen wurde diese Heraus­forderung explizit gesucht. Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Milchert vom Lehrstuhl für Freiraumplanung und Gartenkunst der Fachhochschule Osnabrück brachte seine reichhaltige Erfahrung ein, Prof. Dr. Georg Steins, Lehrstuhl für Professur für Biblische Theologie: Exegese des Alten Testaments ergänzte dies mit wichtigen bibelhermeneutischen (Neu-)Ansätzen und die Studierenden wurden in kleinen Gruppen zu gegenseitiger Konversion ge­nötigt, um die Grundidee von der Bibel als Garten umsetzen zu können. Es sollte keine Ansammlung altorientalischer Pflanzen inszeniert werden, sondern Entürfe eines strukturierten Parks, die Grundthemen der Bibel symbolisch dar­stellen. Die Seminaridee war einfach, nach Impulsen von landschafts­gärtnerischer, bibeldidaktischer wie bibelwissenschaftlicher Seite aus wurden Gruppen gebildet, paritätisch besetzt mit Gärtnern und Theologen. Und diese Gruppen sollten eine Skizze entwerfen für einen Bibelgarten, der biblische Themen, biblische Inhalte verdeutlicht. Vielleicht auch gleich die Grundidee Bibel, oder den biblischen Kanon. So wie es der Alttestamentler Ernst Axel Knauf einmal getan hatte, als Antwort auf die Frage, was sein roter Faden in der Bibel sei:

„Ich erlebe sie als einen Park, auf dessen Weisheitswiesen und in dessen Prophetenhainen mein Blick sich weitet, mein Mut erfrischt und mein Herz fröhlich wird. Wer den Park weniger gut kennt, mag ihn freilich ob seiner Weite und der scheinbaren Wildheit einiger seiner Landschaften bedrohlich finden. Ich werde zwar nie damit fertig, mir diesen Schlossgarten zu erwandern, aber einige Orientierungspunkte haben sich im Laufe meiner Reisen und Erkundigungen doch ergeben. Das Herzstück des Parks heißt »Thora« und kommt am ehesten dem Ideal des wohlgeordneten französischen Gartens gleich, hat aber schon seine Ein­sprengsel der wilderen englischen Art. Es gibt einen Hauptwanderweg, der von der Schöpfung Himmels und der Erden (Gen I) bis zum Tod des Mose führt (Dtn 34) Hat man aber erst einmal das Prinzip der Wege in der »Thora« verstanden — sie kommen alle von Gott, führen alle zu uns, und lehren uns den aufrechten Gang, den wir nicht nur im Park, sondern auch in der Welt pflegen sollen —, dann erschließen sich die steilen und gewundenen Pfade in den »Prophetenhainen« wie von selbst, die alle von den Hauptwegen der »Thora« abzweigen, wenn auch an verschiedenen Stellen.“

Das Seminar hat keinen neuen Garten hervorgebracht. Aber einige sehr interes­sante Entwürfe sind entstanden. Wie einige Studierende das Prinzip der Wege in der Tora und darüberhinaus verstanden haben, das zeigen beispielhaft einige der folgenden „Poster“. Sie zeigen auch, wie ein Nachdenken über die Aufgabe Bibel als Garten zu einem Neuverstehen von Bibel als Kanon führen kann.

Thomas Nauerth

(Vortrag auf der Religionspädagogischen Jahrestagung des akrk und des dkv 2012 in Helfta)

[1] Bereits 1931 notierte Adolf Rading: „Je mehr die Wirtschaft ihren Sinn verliert, dem menschlichen Willen sich entzieht und entfesselt gegen ihre Schöpfer sich wendet, desto stärker und bestimmender wird das Bewusstsein der Naturverbundenheit sich entwickeln und damit der Garten und das Haus als Bestandteil des Gartens Zuflucht und Lebensmittelpunkt werden.“ Das könnte auch heute durchaus ein Ansatz sein zur Erklärung.

[2] Vgl. Rasche, Uta: Uta Frieling-Huchzermeyer, Vom Glück des Gedeihens; FAZ v. 22/23.9.2012.

[3] Hanno Rautenberg, in: ZEIT 24.5.2012. Vgl. als Überblick auch Rasper, Martin, Vom Gärtnern in der Stadt, München 2012.

[4] Augstein, Jakob, Die Tage des Gärtners. Vom Glück im Freien zu sein, Berlin 2012, 12.

[5] Stückrath, Katrin, Bibelgärten. Entstehung, Gestalt, Bedeutung, Funktion und interdisziplinäre Perspektiven, Göttingen 2012, 13 spricht von rund 100 Bibelgärten im deutschsprachigen Raum und etwa 500 weltweit.

[6] Stückrath, Katrin, Bibelgärten. Entstehung, Gestalt, Bedeutung, Funktion und interdisziplinäre Perspektiven, Göttingen 2012, 13.

[7] Stückrath, a.a.O., 17: „ein historisches Produkt der wissenschaftlichen Pflanzenkunde, der botanischen Gärten und modernen Gartenschauen. Ihr Ursprung ist also (…) nicht religiös, sondern säkular bestimmt.“

[8] Vgl. The Prince of Wales, Harmonie. Eine neue Sicht unserer Welt, München 2010.

[9] Stückrath, a.a.O., 18.

[10] Stückrath, a.a.O., 191.

[11]  Stückrath, a.a.O., 194.