Das Löwengericht

Materialien zu biblischen Texten

 

„Sith! Aria! Ich habe Neuigkeiten! Wacht auf, wacht auf, oh, ich bin so aufgeregt!“. Verschlafen blinzelten Aria und Sith in die Sonnen und schauten suchend in den Himmel. „Meine Mama ist schon unterwegs zu euren Eltern, vielleicht ist heute der Tag, an dem wir endlich dabei sein dürfen!“. Völlig außer Atem landetete Phagus, ein kleiner, bunter Wüstenvogel, auf einem Stein. „Wovon redest du? Und warum weckst du uns?“, knurrte Sith, die Augen bereits wieder fest geschlossen. „Ich habe gerade geträumt, ich hätte eine Antilope ganz allein zur Strecke gebracht und das noch bevor die ersten Haare meiner Mähne angefangen sind zu wachsen.“. Aria streckte sich, gähnte und verpasste ihrem Bruder einen spielerischen Hieb mit der Pfote. „Dann war es auch allerhöchste Zeit, dass du aus deinem Traumland zurückkehrst. Aber, Sith hat Recht.“, sie wandte sich Phagus zu, der unruhig von Stein zu Stein hüpfte und vor Aufregung zu platzen schien. „Was hast du für Neuigkeiten, die so spannend sind, dass du nicht stillsitzen kannst?“. „Es wird einen Prozess geben, noch heute!!“. „Waaas?!“. Wie elektrisiert und plötzlich hellwach, sprangen die beiden Löwenkinder auf ihre vier Pfoten. „Ein Prozess? Woher weißt du das! Worum geht es? Wann beginnt er? Noch heute sagst du?! Nach Hause, wir müssen so schnell wie möglich nach Hause!“. „Ich weiß, ich weiß!“. Phagus flatterte mittlerweile ungeduldig um ihre Köpfe herum. „Kommt, ich erzähle euch alles auf dem Weg zu den Höhlen.“. Er ließ sich auf Siths Kopf zwischen den Ohren nieder und während die Geschwister in großen Sprüngen den Heimweg antraten, begann Phagus zu erzählen: „ Ich war gerade mit meiner Mama auf Nahrungssuche, als Burpas, der Informant aus dem Königshaus, die Botschaft überbracht hat. Anscheinend hat ein Mann namens Daniel gegen ein Gesetz des Königs verstoßen und dieser hat ihn nun zu einer Anhörung in der Löwengrube verurteilt. Noch heute Abend soll er hergebracht werden.“ „Vielleicht hast du recht und heute ist wirklich der Tag, an dem wir das erste Mal bei der Verhandlung dabei sein dürfen.“, unterbracht Aria den Wüstenvogel hoffnungsvoll. „Wir haben nun schon so vielen Erzählungen der Älteren gelauscht, dass ich es nicht mehr abwarten kann, einmal selbst dabei zu sein.“ „Ich werde Papa gleich fragen!“, rief Sith, währen einer der Eingänge zu dem gewaltigen Höhlenkomplex vor ihnen auftauchte. „Er weiß wie aufmerksam wir in den Lehrstunden aufgepasst haben.“ Als die drei Freunde die Eingangshöhle durchquerten, merkten sie gleich, dass Phagus nicht untertrieben hatte und etwas Großes bevorstand: Emsiges Treiben, ein riesiges Durcheinander an Stimmen und großes Gedränge herrschte in allen Fluren. „Schnell, da vorne sind eure Eltern!“, zwitscherte Phagus aufgeregt. „Mama! Papa!“ Aria eilte auf ihre Eltern zu, die am Eingang der Gerichtshöhle standen und in ein ernstes Gespräch vertieft zu sein schienen. „Bitte! Bitte lasst uns heute dabei sein! Phagus hat uns bereits alles erzählt. Wir wissen, dass heute ein Prozess stattfindet! Dürfen wir mit in die Gerichtshöhle? Wir werden auch mucksmäuschenstill sein.“ Mit flehendem Blich schaute Aria ihre Eltern an. Samson und Karlia beäugten ihre Kinder prüfend. „Ihr seid euch der Verantwortung bewusst? Und ihr wisst euch zu benehmen?“, fragte Samson streng. „Ja Papa, wirklich! Wir warten schon so lange auf diese Chance, wir werden euch bestimmt nicht enttäuschen.“ „Also gut. Ihr setzt euch zu den anderen Junglöwen und seid absolut still. Und wenn es zu der Abstimmung kommt, überlegt gut, bevor ihr eure Pfoten hebt.“. „Wir versprechen es! Danke, danke!“. „Und Phagus,“, meldete sich Karlia zu Wort, als der kleine Vogel heimlich hinter seinen Freunden her zu flattern versuchte „du lässt dich besser nicht von deiner Mutter erwischen, sie sucht dich bereits.“. „Ich gebe mir Mühe, aber diese Gelegenheit kann ich mir einfach nicht entgehen lassen!“. Innerhalb weniger Minuten war die Gerichtshöhle gefüllt. Sith und Aria setzten sich mit Phagus im Schlepptau zu den anderen Junglöwen. „Hey ihr zwei! Eure erste Verhandlung! Endlich!“, wurden sie von Marlo begrüßt, der ein Jahr älter war als sie und bereits an vier Prozessen teilgenommen hatte. „Ruhe!!“. Ein lautes Brüllen hallte von den Wänden der Höhle wieder. Samson und Karlia schritten durch den Mittelgang ins Zentrum der Höhle. „Wir verhandeln heute den Fall Daniel. Er wird beschuldigt, gegen ein wichtiges Gesetz des Menschenkönigs verstoßen zu haben. Unsere Aufgabe ist es nun herauszufinden, ob diese Anschuldigung gerechtfertigt ist. Er müsste jede Minute hergebracht werden.“ Wie auf Stichwort ertönte ein lautes Rumpeln, gefolgt von einem donnernden Knall. „Das muss die Felstür Richtung Menschenreich gewesen sein, die nur sie von außen öffnen können!“, flüsterte Sith aufgeregt. Nach kurzer Zeit hörte man Schritte aus einem der Gänge, die lauter und lauter wurden und plötzlich erschien ein Mann in der Höhle, der sich aufmerksam umsah. „Bist du Daniel?“, fragte Samson. „Der bin ich.“, antwortete der Mann. „Was wird dir vorgeworfen, Daniel?“ „Gegen ein Gesetz des Königs verstoßen zu haben.“ „Und, hast du?“ „Ja.“ Ein Raunen ging durch die Höhle. „Er gesteht!“. „Dieser Daniel versucht nicht sich herauszureden!“. „Er scheint auch überhaupt keine Angst zu haben.“. „Ja und er…“ „Ruuheee!!“. Das donnernde Brüllen Samsons ließ das Gemurmel der anderen Löwen sofort verstummen. „Du bekennst dich also schuldig ein Verbrechen begangen zu haben?“, richtete Karlia ihr Wort an Daniel. „Ich bekenne mich schuldig, gegen ein Gesetz des Königs verstoßen zu haben, ein Verbrechen habe ich meines Wissens jedoch nicht begangen.“ „Du hast niemanden verletzt oder getötet?“ – „Nein!“ „Niemandem wissentlich oder unwissentlich Unrecht getan?“ – „Nein!“ „Dich nicht auf Kosten anderer bereichert oder persönliche Vorteile durch anderer Nachteile gezogen?“ – „Nein.“. Wieder kam ein leises Raunen auf. „So sage mir Daniel, warum bist du hier? Wenn du kein Verbrechen begangen, aber doch ein Gesetz gebrochen hast, für das du in die Löwengrube geschickt wirst?“ „Ich habe gebetet. Zu meinem Gott. Ich habe an meinem Glauben festgehalten und soll nun dafür bestraft werden.“ Das Gemurmel wurde lauter und lauter. „Laufe alle Prozesse so ab?“, fragte Aria Marlo. „Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt.“. „Dieser hier ist auch anders als alle, die ich bisher miterlebt habe!“, flüsterte Marlo zurück. „Dieser Daniel ist der erste Mensch, der auf Anhieb zugibt, gegen ein Gesetz verstoßen zu haben. Der nicht versucht zu fliehen, der nicht um Gnade fleht, wirre Versprechungen macht und Besserung gelobt.“ „Weil er im Recht ist!“. Die anderen wandten sich Sith zu. „Warum soll er bestraft werden, wenn er seinen Glauben verteidigt? Wir beten auch zu einem anderen Gott als Phagus und seine Familie, aber trotzdem leben wir miteinander und sind sogar befreundet!“. Erst jetzt bemerkte Sith, dass die Augen aller anderen Löwen auf ihn gerichtet waren. Seine Mutter blickte ihn voller Stolz an. „Sith hat Recht. Daniel, du bist bewundernswert. Anstatt einer Bestrafung sollte man dir Achtung entgegenbringen. Trotz Drohungen hältst du an deinem Glauben und deinen Überzeugungen fest. Daran ist nichts falsch, es ist vielmehr sehr mutig. Woher kommt dieser Mut?“. „Ich bin nicht mutig.“, erwiderte Daniel. „Ich folge nur dem, von dem ich glaube, dass es richtig ist und vertraue darauf, dass mein Gott mich nicht im Stich lässt.“. „Und das hat er nicht.“, meldete sich Samson zu Wort: „Daniel, für solchen Mut musst du belohnt und nicht bestraft werden. Du sollst anderen ein Vorbild sein und ihnen zeigen, was der Glaube an Etwas bewirken kann. Kehre in dein Leben zurück, du bist ein freier Mann.“

So war der erste Prozess, an dem die drei Freunde teilnahmen auch der erste, bei dem ein Mann für unschuldig erklärt wurde.

N.N.