Jesusfilmouvertüren

Film

Wie man einen Jesusfilm eröffnen und was man dabei lernen kann.

Jedes Evangelium hat seine ganz eigene Eröffnung.[1] Diese recht banale Beobachtung gerät sowohl bei der üblichen starken Fixierung auf die Parallelen der ersten drei Evangelien als auch bei der nicht minder üblichen Orientierung an der Frage, wie es denn wirklich gewesen ist, immer ein wenig aus dem Blick. Dabei gelten Anfänge und Abschlüsse von Erzählungen als besondere literarische Krisenzonen, als Zonen, in denen der Erzähler aufs Höchste gefordert ist. Es gilt die Kommu­nikation mit dem Hörer oder Leser in der richtigen Weise aufzunehmen bzw. abzuschließen. Jeder, der Geschichten erzählt, weiß, wie wichtig es ist, den richtigen Einstieg, die richtige Eröffnung zu wählen. Es geht dabei nicht nur um den Aufbau einer ge­lin­genden Kommunikation mit dem Hörer oder Leser. Anfänge sind auch vorzüglich dazu geeignet, thematische Akzentuierungen vorzunehmen, hermeneutische Deu­tungsschlüssel für die gesamte weitere Erzählung zu geben.

Wer sich daran macht, Evangelien zu verfilmen, der scheint diese Er­kenntnis recht schnell gelernt zu haben. Vielleicht stehen Filmemacher aber auch generell den Grundgesetzen des Erzählens noch recht nahe. Es ist daher ungemein interessant, zu beobachten, welche Lösungen für das Problem des Anfangs gefunden wurden, und welche thematischen Akzente damit gesetzt werden. Es wird sich zeigen, dass zumindest in dieser Hinsicht von Jesusfilmen auch für die biblische Lektüre einiges zu lernen ist.[2] Drei Beispiele sollen unter diesem Aspekt im folgenden analysiert werden.

Menschliche Herrschaft wider göttliche Herrschaft

Roberto Rossellini, „Der Messias“ 1976

„Der italienische Filmregisseur gilt als Wegbereiter des Neorealismo, dem spezifischen Er­zählstil des italienischen Nachkriegskinos“, so heißt es einleitend in einem bio­gra­phi­schen Abriss über den italienischen Regisseur Roberto Rosselini.[3] Sein letzter grosser Kinofilm trägt den Titel „Der Messias“. Man ist bei einem Wegbereiter des Neo­­re­alismus nicht weiter ver­wundert, wenn man über diesen Film liest: „Der Film erzählt werkgetreu die Geschichte vom Leben des Jesus von Nazaret nach den vier Evangelien. Er beginnt mit Jesus Geburt in Bethlehem und führt über die verschiedenen Stationen seines Wirkens bis hin zur Kreuzigung und Auferstehung. (….) Der letzte große Film von Roberto Rossellini überzeugt durch eine strenge formale Umsetzung, die völlig auf effekthaschende Gewalt- und Kitsch­momente verzichtet.“[4] Auch andere Beschreibungen lassen auf eine realistische Verfilmung schließen: „auf das Wesentliche reduziert, wird Christi Weg von der Geburt, über seine Wirkungsstätten und –taten, bis hin zur Verurteilung und finalen Kreuzigung nachempfunden.“[5]

Wenn man dergestalt eingestimmt, den Film ansieht, wundert man sich. Der Film beginnt mit einem sehr langen Kameraschwenk auf eine wüstenähnliche Landschaft, zu­nächst aus der Vogelperspektive, dann wird allmählich herangezoomt und eine Gruppe wandernder Menschen wird erkennbar. Der Zuschauer wird informiert: „1100 Jahre vor Christus, nach ihrer Flucht aus der Sklaverei Ägyptens irrten die Stämme der Kinder Israels 40 Jahre umher. Als sie von Moses geführt die Wüste durchquert hatten, erreichten sie das gelobte Land und ließen sich im Tal von Kanaaan nieder.“ Rosselini will mitnichten „werkge­treu“ realistisch auch noch das alte Testament schildern. Er will vielmehr die neutesta­mentliche Messiasgeschichte vor dem Horizont der alttestamentarischen Erwartung (und Verheißung) eines gerechten Königs stellen. Wenige Szenen genügen ihm dazu: Ein brutaler Überfall auf eine der frühen Ansiedlungen „im Tal von Kanaan“ wird gezeigt und bald darauf entsteht der Wunsch Israels nach einem realen König („Es soll ein König sein, der über uns herrscht“). Gott als einziger König Israels genügt dem Volk nun nicht mehr, man möchte einen menschlichen König wie ihn alle anderen Völker haben. Man sieht eine Gruppe von Ältesten zusammen­sitzen, der Name Samuel fällt und der kundige Bibelleser ahnt, man wird Zeuge von 1 Sam 8.

Man hört die fundamentale Warnung des Propheten Samuels vor der Unter­drückung und Ausbeutung, die menschliche Könige mit sich bringen (1 Sam 8,11-18); man sieht, wie die Ältesten Israel trotzig darauf beharren, einen menschlichen König haben zu wollen für Israel. In einem faszinierenden Zeitraffer sieht man dann die Wahrheit der War­nung des Propheten Samuel in Israels Geschichte Realität werden, die verheerende Ge­schichte der kriegerischen israelischen Könige bis hin zum Untergang 587 wird in wenigen Minuten vorgeführt: „König auf König, Krieg auf Krieg“. In dieser ganzen Zeit haben die Propheten „die Hoffnung auf einen gerechten König, auf einen Messias, der ganz bestimmt kommen wird“ lebendig gehalten.

Nach diesen Worten kommen in einer kühnen Überblendung, mit der zugleich ein noch küh­n­erer Zeitensprung verbunden ist, die königlichen Beine des Herodes ins Bild, die eine Dienerin gerade zu waschen hat. Diese behaarten könig­lichen Män­nerbeine erweisen die Wahrheit von Samuels Rede: „Eure Knechte und Mägde (…) wird er holen und für sich arbeiten lassen“ (1 Sam 8,6).  Der Zuschauer kommt kaum dazu über diese drastische Erfüllung der pro­phetischen Rede zu staunen, unmittelbar wird er zum Zuhörer einer Debatte zwi­schen Herodes und seinen Beratern: Drei weise Männer, Sterndeuter, aus dem Orient seien ge­kommen. Sie wollten einem neugeborenen König der Könige, dem Messias, huldigen. Rosselini setzt darauf, dass die Zuschauer genügend biblischen bzw. christlichen Hintergrund haben, um dieses Gespräch einzuordnen. Zuschauer, denen das gelingt, die ihr Vorwissen über „Drei Könige“ aktiviert haben, hören nach der bisherigen filmischen  Ouvertüre dem Gespräch zwischen Herodes und seinen Beratern mit ganz anderen Ohren zu. Es gelingt Rosselini auf diese Weise, die theo­logische Botschaft von Magnificat wie Benediktus, zentrale theologische Deuteschlüssel der lukanischen Evangeliumsouvertüre, narrativ filmisch um­zu­setzen: Der Gott Israels sucht endlich sein Volk heim, der ersehnte Messias, der erste wirklich gerechte König ist geboren. Die Geburt Jesu selbst wird nicht geschildert, nur die Bedeutung dieser Geburt wird eindringlich vor Augen gestellt. Mitnichten trifft also zu, was häufig in Bezug auf Roberto Rosselini ´s filmische Umsetzung der Evangelien zitiert wird: „Ich zeige die Dinge, ich erkläre sie nicht“.[6] Am Anfang zumindestens ist es genau umgekehrt.

Ein Friedenskönig

Nicholas Ray, „König der Könige“ 1961

In Rosselinis filmischer Eröffnung fällt gegen Ende die Wendung „König der Könige“, man wird dies wohl als kleine Referenz verstehen dürfen auf einen der berühmten Vorläuferfilme, die opulente Hollywoodneuver- filmung des Films „König der Kö­nige“ durch Nicholas Ray 1961.

Während Rosselini vom alten Testament her einen theologischen Hintergrund zum Verstehen von Auftretens wie Botschaft des Jesus von Nazareth formuliert, wird im Film „König der Könige“ versucht, über eine zeithistorische Einbettung ei­nen deutenden Hintergrund zu schaffen. Es ist eine Situation erbarmungsloser Unter­drückung aufgrund der römischen Besatzung, die in den Eröffnungsszenen sehr drastisch vor Augen gemalt wird. Gezeigt wird, wie bei der Eroberung Jerusalems 63 v. Chr. der Feldherr Pompeius mit Gewalt ins Innerste des Heiligtums vor­dringt in der Erwartung auf reichlich Gold und Silber. Er findet stattdessen „eine Perga­ment­rolle, die Gebote des Herrn, das Erbe des Gesetzgebers Moses, vom Volk der Juden verehrt und angebetet“ (so heißt es im Film). In einer einzigen dramatischen Sequenz gelingt es damit dem Film die zentrale Eigenart der jüdischen Religion, geschart um ein Buch als „portatives Vaterland“ (Heinrich Heine) eindrücklich herauszustellen: Ein Volk mit einer heiligen Schrift als einzigem Schatz.

Gewalt und Erlösung

Es begab sich aber zu der Zeit“ (Hardwicke 2006

Der ansonsten der Abfolge der biblisch erzählten Welt durchaus treu folgende Film wählt als dramatische Eröffnung das Ereignis der Tötung der neugeborenen Jungen in Bethlehem durch Herodes (Mt 2,16-18). In der ersten Szene sieht man Herodes den Befehl zur Tötung geben, woraufhin die Soldaten in Bethlehem einfallen. Da­nach erfolgt eine Rückblende, erzählt wird nun chronologisch, angefangen von der Engelsbegegnung des Priesters Zacharias im Tempel bis eben zur Flucht von Maria und Josef vor Herodes Soldaten nach Ägypten. Josef sieht dabei im Traum wie in einer Vision die kommende Tötung der Erstgeborenen, d.h. er sieht jene Szene, die der Zuschauer bereits aus der Eröffnung kennt. Durch diese Rahmung wird eine Interpretationsperspektive für den gesamten Film eröffnet, die es zu beachten gilt. Das Thema Gewalt, die Brutalität der realen politischen Welt, so drastisch an den Anfang gestellt, verhindert wirkungsvoll jeden Versuch einer idyllischen Sichtweise.

Resumee

Generell zeigt sich wieder einmal, wie orientierend ein Quervergleich von verschie­denen Filmen ist.[7] Insgesamt ist weiter auffällig, wie oft in den Jesusfilmen die Darstellung von drastischen Gewalt als Hintergrund des Auftretens Jesu gewählt wird. Der Kontrast zu den „normalen“ Leseeindrücken bei heutiger Lektüre der Evangelien ist sehr stark. Die Filme verhelfen insofern durchaus wirkungsvoll dazu, die in den biblischen Erzäh­lungen enthaltenen politischen Dimensionen wahrzunehmen. Man ist als normaler Bibel und Evangeliumsleser geradezu irritiert. Ist dies wirklich der Kontext in dem hinein Leben und Botschaft des Jesus von Nazareth zu stellen ist, in den hinein auch die Evangelien geschrieben wurden? Der Neutestamentler Martin Hengel hat 1970 und 1971 zwei kleinere Studien veröf­fent­licht, die vor dem Hintergrund der Debatten nach der Studentenbe­wegung um legitime und illegitime Gewalt versucht haben, einen orientierenden exe­ge­tischen Blick auf die Jesusbewegung zu werfen.[8] Diese heute vergriffenen Bücher (zugänglich aktuell nur digital über die Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie) verblüffen den normalen Evangelienleser fast ebenso  wie manche Eröffnung eines Jesusfilms. Hengel schreibt:

„Kein anderes Volk in der Antike hat sich so be­harrlich und erbittert gegen die Über­frem­­dung durch die hellenistische Kultur und die Un­ter­drückung durch die römische Weltmacht gewehrt, wie das jüdische (…). Durch die Herrschaft des Herodes und seiner Söhne und das korrupte Regiment der Prokuratoren – nicht zuletzt des Pilatus – hatte sich die Situation im jüdischen Palästina so zugespitzt, daß es schein­bar nur noch drei Möglichkeiten gab: den be­waffneten, revo­lu­tionären Widerstand, die mehr oder weniger op­portunistische Anpas­sung an das herrschende Sys­tem (…) und die passiv duldende Resignation.“[9]

Es scheint, dass durch das Medium „Jesusfilm“ eine Sensibilität für bestimmte zeitge­schicht­liche Hintergründe erreicht werden kann, die wohl auch in Teilen der neueren Exe­gese verloren gegangen ist. Es ist also keineswegs nur das Bedürfnis film­ischer Dramatik, das hinter den geschilderten Anfangssequenzen steht. „In diesen dunklen Kontext (…) muß Jesu Botschaft und Wirken »eingezeichnet« werden, wenn wir sie heute richtig verstehen wollen“, so Martin Hengel.[10] Hengel arbeitet überzeugend heraus, dass in der Tat gerade die Frage der Gewalt für die Botschaft und für das Leben des Jesus von Nazareth eine Schlüsselfrage darstellt:

„Brachte er doch in radikal neuer Weise eine Alternative, um aus den obengenannten drei heillosen Mög­lich­kei­ten, dem brutalen circulus vitiosus von Gewalt und Gegengewalt, dem opportunistischen Mit­läufer­tum und der dumpfen Resignation auszu­brechen, eine Alternative, die auch heute ihre Bedeutung nicht verloren hat. (…) forderte Jesus unter der Be­rufung auf die Liebe des Vaters zu allen Menschen und in radikaler Aus­deutung des alt­testamentlichen Liebesgebots den Gewaltver­zicht und die Feindesliebe. (…) Das Lie­besgebot wurde für ihn gewissermaßen zum »Le­bensgesetz der Königsherrschaft«. (…) Hier liegt das eigentliche Neue und Revolutionäre an Jesu Botschaft.“[11]

Unter Rückgriff auf die Erfahrungen mit gewaltfreien Methoden als politisches Hand­lungsmittel, die einerseits die Unabhängigkeitsbewegung um Mahatma Gandhi und Abdul Gaffar Khan und andererseits die Bürgerrechtsbewegung in den USA unter Martin Luther King gemacht haben, hat der amerikanische Neu­testa­mentler Walter Wink dieses Neue und Revolutionäre von Jesu Leben und Botschaft sehr präzise heraus­gearbeitet:

„Vor dem Hintergrund der an Kampf und Mühen reichen Geschichte seines eigenen Vol­kes eröffnet er einen Weg, sich dem Bösen zu widersetzen, ohne es zu spiegeln, den Unterdrücker zu be­kämpfen, ohne ihn nach­zuahmen, den Feind zu neu­tralisieren, ohne ihn zu zerstören. Diejenigen, die nach Jesu Worten gelebt haben (Lew Tolstoi, Mahatma Gandhi, Muriel Lester, Martin Luther King, Dorothy Day, César Chavez, Hildegard und Jean Goss-Mayr, Mairead Corrigan Maguire, Adolfo Pérez Esquivel, Aung San Suu Kyi und unzählige weniger bekannte Per­sonen), weisen uns einen neuen Weg, dem Bösen zu begegnen, ein Weg, der Möglichkeiten einer persönlichen und gesellschaftlichen Transformation eröf­fnet, welche wir heute erst zu begreifen beginnen.“[12]

Die Frage, ob die genannten Filme ihrem durch die Eröffnung gesetzten Programm auch in ihrer weiteren filmischen Erzählung wirklich treu geblieben sind, eine Frage, die natürlich zentral die filmische Umsetzung der Bergpredigt betrifft, kann hier nicht weiter vertieft werden. Generell ist zu beobachten, dass das Mittel Film sich gerade im Bereich der Vermittlung von neutestamentlichen Reden eher schwertut.
Religionsdidaktisch gesehen ist diese Frage allerdings mit Sicherheit eine sehr schöne weiterführende Frage, die zu einem neuen Blick auf den gesamten Film verhilft und zu eigenen filmischen Analysen anregen kann.

apl. Prof. Dr. Thomas Nauerth

[1] Das gilt natürlich auch für jedes biblische Buch, vgl. dazu jetzt die von dieser Einsicht ausgehende Hinführung zur Bibel: Ballhorn, Egbert/Steins, Georg/Wildgruber, Regina/Zwingenberger, Uta (Hg.), 73 Ouvertüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft, Gütersloh 2018.

[2] Zu weiteren Lernmöglichkeiten vgl. Nauerth, Thomas, Menschwerdung Jesus – Der Jesusfilm als Medium im Unterricht. In: ReLLiS. Zeitschrift für den katholischen Religionsunterricht (2/2011) 34-38 und generell Langkau, Thomas, Die neuesten Jesus-Filme als Herausforderung für Theologie und Religionspädagogik, Münster 2007.

[3]  Zu finden unter www. whos­who.de/bio/roberto-rossellini.html. [30.10.2019]

[4] So die Beschreibung unter https://www.sendbuch.de/a40042/roberto-rosselini/dvd-der-messias [30.10.2018]

[5] Renatus Töpke; www.kino-zeit.de/dvd/der-messias [30.10.2018]

[6] Zitiert u.a. bei Gottwald, Eckart, Mehr als nur Hollywood – Jesus im Spiegel massenmedialer Kommunikation, JRP 15 (1999), 195-205. 200.

[7] Vgl. auch Willems, Joachim, Religion deuten lernen und religiös deuten lernen –  Chancen von Jesus-Filmen im Religionsunterricht am Beispiel der Versuchung Jesu. In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 11 (2012), H.2, 143-167.

[8] Hengel, Martin, War Jesus Revolutionär? Stuttgart 1970 und Ders., Gewalt und Gewalt­lo­sig­keit. Zur „politischen“ Theologie in neutestamentlicher Zeit. Stuttgart 1971 (= Digitale Bibliothek Sonderband: Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie).

[9] Hengel, Gewalt und Gewaltlosigkeit.

[10] Hengel, ebd.

[11] Hengel, ebd.

[12] Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014, 91f. + 100.